Sie erinnerten gestern an den weltweit veranstalteten Kampagnen-Tag gegen Gewalt an Frauen, der unter dem Motto „One Billion Rising“ (Eine Milliarde erhebt sich) vor zwei Jahren auch in Jena gestaltet wurde (von links): Silvana Oertel vom Frauenzentrum „Towanda“, Kathrin Hampel vom Jenaer Frauenhaus, Jenas Gleichstellungsbeauftragte Conny Bartlau und Towanda-Praktikantin Karen Valencia aus Ecuador Foto: Thomas Stridde
Jena. Rosen aus nachhaltiger Anzucht will der Frauenhaus-Verein am heutigen Internationalen Frauentag unter den Jenaerinnen verteilen, so kündigte gestern Vorstandsmitglied Kathrin Hampel an. Nun ja: Rosen als Sinnbild der Liebe! Abhanden gekommen sei die Liebe aber durchaus nicht immer bei den Opfern häuslicher Gewalt, um die sich der Verein kümmert, sagt Kathrin Hampel. „Nur hätten die Frauen diese Rose lieber ohne Dornen.“
2016 sei die Auslastung des Jenaer Frauenhauses mit seinen 16 Plätzen wieder etwas angestiegen gegenüber dem Vorjahr, berichtet Kathrin Hampel: 37 Frauen und 42 Kinder suchten Zuflucht vor häuslicher Gewalt (2015: 36 Frauen und 28 Kinder). Gravierend sei voriges Jahr die Erhöhung des Anteils von Einwanderinnen gewesen: 19 und davon 8 geflüchtete Frauen im Asylverfahren, sagt Kathrin Hampel. „Das merken wir auch in unseren Beratungen.“ Oft stünden jene Frauen an der Seite von Männern, mit denen sie durch arrangierte Hochzeiten zusammengebracht worden waren. „Dass da unter der Flucht etwas eskalieren kann, ist kein Wunder. Und dann hören sie erstmals etwas von Frauenrechten.“ Mehr als die Hälfte dieser Frauen hätten sich von ihren Männern getrennt – „nicht wissend, wie sie dann ihrer Community begegnen sollen. Das kann in Isolation münden“, sagt Kathrin Hampel.
Kathrin Hampel, Silvana Oertel vom Frauenzentrum Towanda und Jenas Gleichstellungsbeauftragte Conny Bartlau schauen im Gespräch auf den großen politische Rahmen: Am heutigen Mittwoch will das Bundeskabinett den Weg frei machen für die deutsche Ratifizierung der „Istanbul-Konvention“ – eines Übereinkommens des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Mit der Anpassung seines Sexualstrafrechts („Nein heißt Nein“) habe Deutschland gut vorgearbeitet, sagt Kathrin Hampel. Und auch Jena bemühe sich, die bundesweit gültige neue 24-Stunden-Notrufnummer zu bewerben (0177/4787052). Der Jenaer Frauenhausverein registrierte 2016 allein 198 Notrufe, denen in 25 Fällen aktive Einsätze folgten (2015: 115 Anrufe und 21 aktive Einsätze).
Aus hiesiger Perspektive hat das Thema noch eine andere internationale Dimension: Im September des Vorjahres hatte Jena seine Partnerstädte zur Konferenz unterm Motto „Gemeinsam gegen häusliche Gewalt“ geladen. Es stehe noch aus, eine von sieben Städten beschlossene Konferenz-Vision zu verwirklichen: dass das Thema der häuslichen Gewalt in die Programme der Städtepartnerschaften aufgenommen wird, sagt Conny Bartlau. Ein erster praktischer Schritt sei die Einrichtung eines Blogs im Internet, auf den Frauen aus den Partnerstädten zugreifen und ihre Beiträge veröffentlichen können ( https://womenmovementjena.wordpress.com/). „Wir wollen das Gefühl entwickeln, dass wir uns gemeinsam stärken.“
Ein anderes großes Frauen-Thema: Wie steht die Gleichstellungsbeauftragte zur oft wiederholten Kritik, dass Frauen in Jena beruflich recht wenige Führungsrollen inne haben? „Mir ist nicht bewusst, dass sich das verbesserte hätte“, sagt Conny Bartlau, die ihr Amt seit fünf Jahren bekleidet. An den Führungsspitzen der Stadtverwaltung gebe es gar keine Frau, leider auch keine Leiterin eines der städtischen Eigenbetriebe. Wenigstens dürfe man auf der nächstniedrigeren Ebene nach OB, Bürgermeister und Dezernenten – bei den so genannten Fachdiensten (früher hieß das: Ämter) – fast genauso viele Chefinnen wie Chefs registrieren.
Und in der Kommunalpolitik? Hier hat Conny Bartlau Gremienforschung betrieben, wie sie sagt. Ergebnis: In den Fraktionen, Fachausschüssen und Beiräten des Stadtrats sind die Mitglieder zu 80 Prozent männlich. „In den Parteien gibt es also viel zu wenig Frauen.“
Altersgruppe „27 bis 45“: 1800 Männer mehr
Nicht minder dramatisch: Innerhalb der Jenaer Bürgerschaft gibt es in der Altersgruppe „27 bis 45“ etwa 1800 Frauen weniger als Männer (In der Studentenschaft ist das Verhältnis fifty, fifty). „Das ist seit fünf Jahren so“, sagt Conny Bartlau. Nachweisbar ziehe es jene Gruppe bevorzugt nach Berlin und Leipzig, und wer zum Studieren aus dem Westen kam, gehe danach oft wieder in die Heimat.
Woran liegt das? Unter anderem, weil die jungen und gut qualifizierten Frauen woanders viel besser bezahlte Jobs bekämen, sagt die Gleichstellungsbeauftragte. „Mitunter fühlst du dich als Frau in Jena auch nicht richtig angesprochen.“ Conny Bartlau wünscht sich deshalb, dass das Stadtmarketing mit seinen vielfältigen Formaten der Werbung um Fachkräfte noch einen besseren Zuschnitt auf Frauen findet.